Rechtfertigung, Nr.1
Ich weiß, dass China ein Land ist, das hinter dem Horizont der meisten Europäer liegt. Ich weiß, dass es (noch) ein kommuistischer Staat ist, das es dort (noch) keine Pressefreiheit, kein Tierschutzgesetz und konsequent durchgesetzte Menschenrechte gibt. Dass dort (selten) auf die Straße gespuckt wird, dass es dort Hund zu essen gibt (nur in Spezialrestaurants, für ne Menge Geld) und dass das ländliche China in keinster Weise mit dem europäischen Leben vergleichbar ist. Es gibt Todesstrafe, Armut und andere Religionen. Es gibt Toleranz, Intoleranz, gute und böse Menschen.

Es ist für mich keine Gewissensfrage, nach China zu gehen. Ich werde einen Kulturschock erleiden, keine Frage, ich werde manche Dinge als abstoßend empfinden und nach Hause wollen, in mein weiches Bettchen, in meinen demokratischen Staat, in dem jeder meine Muttersprache spricht.

Es macht mich wütend, wenn ich mich rechtfertigen muss. Ich bin eine junge Europäerin, die weiß, dass der western way of life nicht das non plus ultra ist, die andere Kulturen kennen lernen möchte, die nach ihrer Zeit in China wahrscheinlich verstehen wird, warum dort manche Dinge so sind, wie sie sind. Wenn man weiß, dass ein Grund für das Spucken ist, dass man in den Jahren der Kulturrevolution als möglichst ungebildet gelten wollte, damit man nicht z.B. in Bergdörfer zur "Umerziehung" geschickt worde, dann ekelt man sich gleich viel weniger.

Um ein wenig zu informieren werde ich in den nächsten Wochen versuchen, einen Überblick über Chinas Geschichte zu liefern.

China ist im Umbruch. Das kommunistische System wird nicht mehr lange funktionieren, die westlichen Einflüsse werden immer größer. Ich werde nach China fahren, das System nicht unterstützen, aber akzeptieren und allein durch meine Anwesenheit vielleicht des Horizont des ein oder anderen Chinesen erweitern. Länder entwickeln sich nicht, in dem man sie an die Wand stellt und mit dem Finger auf sie zeigt. In den letzten 20 Jahren hat sich in China so viel verändert, in weiteren 20 Jahren ist der Unterschied zwischen hier und dort wohl noch geringer. Man darf nicht vergessen, dass dort 1,3 Mrd Menschen leben und der extreme wirtschaftliche Wandel das Land auf den Kopf stellt. Jemand in Geschichte aufgepasst? Wie war das noch in Deutschland während der industriellen Revolution? Kinderarbeit, keine Absicherungen, man musste sich totackern um halbwegs zu überleben etc. Gut, die Zeiten haben sich geändert, aber man darf nie vergessen, dass die Geschiche aller westlichen, "hochzivilisierten" Länder eine Geschichte voller Blut und Tränen ist und es sogar je nach Land heute (z.B. USA in manchen Dingen) noch ist oder bis vor nicht allzu langen Jahren war (man denke mal an die DDR und dass es da vor 20 Jahren noch Schießbefehle etc. gab - ja, unser gutes altes Deutschland und die Menschenrechte - nur mal so als Denkanstoß).

Je weiter sich China öffnet - und das muss es, wenn es zur Industrienation werden will - je unmöglicher wird die Kontrolle der Bürger werden und je mehr europäische Strömungen sich im Land etablieren, um so mehr Ausländer dieses Land besuchen, desto eher werden auch die Chinesen nachdenklich. Everything changes. Und von den ganz extremen Bedingungen abgesehen, die ich als nun fast 20 Jahre in Europa aufgewachsene junge Frau einfach so in mein Wertesystem übernommen habe und unter gegenwärtigen Umständen nur als falsch ansehen kann (z.B. Folter) - wer sagt denn, dass die Kultur der Chinesen schlechter ist als unsere? Das ist nur eine Frage der Sichtweise und da ich die gerne bereit bin zu ändern, werde ich in China Neues lernen können. Und dafür bin ich dankbar und drauf freue ich mich.

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